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Whatsapp an Schulen

Ein offener Brief an Schüler, Eltern, Lehrer und die Schulbehörden

In den Medien wird seit Wochen das Thema «sollen Schüler mit ihren Lehrern über den Messenger Whatsapp kommunizieren» kontrovers diskutiert. Dabei kommen rechtliche, pädagogische und sicherheitstechnische Fragen zur Sprache. Dieser offene Brief dient der Information, Klarstellung und enthält Betrachtungen und Empfehlungen der (FSFE) Free Software Foundation Europe – Lokalgruppe Zürich.

 

Warum äussert sich die FSFE dazu?

Die Free Software Foundation Europe ist ein gemeinnütziger Verein, der Menschen im selbstbestimmten Umgang mit Technik unterstützt. Software ist in allen Aspekten unseres Lebens tief verankert. Es ist wichtig, dass diese Technologie uns hilft, statt uns einzuschränken. Freie Software gibt allen das Recht, Programme für jeden Zweck zu verwenden, zu verstehen, zu verbreiten und zu verbessern. Diese Rechte stärken andere Grundrechte wie die Redefreiheit, die Pressefreiheit und das Recht auf Privatsphäre.

Die FSFE Lokalgruppe Zürich engagiert sich in diesem Sinne in der Schweiz und insbesondere im Raum Zürich. Das Thema «Whatsapp» tangiert sowohl unser Engagement für «Freie Software an Schulen», als auch den gesellschaftlichen Aspekt Freier Software; deshalb möchten wir dazu Stellung nehmen und Anregungen geben.

Worum geht es?

«Wer unter 16 Jahre alt ist, darf neuerdings nicht mehr über Whatsapp kommunizieren: Unter dem Druck der EU musste der zu Facebook gehörende Messenger-Dienst Ende Mai 2018 das Mindestalter für die Nutzer anheben, das bislang bei 13 Jahren lag. Die neuen Regeln gelten für den gesamten europäischen Markt, auch für die Schweiz.

Für viele Schweizer Schulklassen hat die Verschärfung Folgen, denn noch immer scheinen Klassenchats zwischen Lehrern und Schülern über Whatsapp weit verbreitet. Genannt werden etwa Beispiele aus den Kantonen Zürich, Aargau und Bern. Einige Betroffene suchen nun nach Alternativen. Einige üben aber auch Kritik – oder versuchen, die Whatsapp-Chats zu retten, etwa durch die Bitte an die Eltern, ihren Kindern die Nutzung des Dienstes zu erlauben.»
(Zitat: Beat W. Zemp, Zentralpräsident des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz)

Die plakative Darstellung von Herrn Zemp möchten wir um den ausführlicheren und differenzierteren Beitrag von Rechtsanwalt Martin Steiger ergänzen. Auch der Datenschutzbeauftragte des Kantons Zürich, Bruno Baeriswyl, hat sich kürzlich zum Thema geäussert: «Whatsapp, Dropbox und Co. haben an Zürcher Schulen nichts zu suchen: Mit diesen Tools können die Schulen die Einhaltung des Datenschutzes nicht garantieren.»

Ein Schritt nach dem anderen

Schueler HandyMan sollte das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, bzw. das Pferd nicht von hinten aufzäumen. Eine Vermischung der unterschiedlichen Betrachtungsweisen und Rollen (rechtlich, pädagogisch, technisch) wird dem komplexen Thema nicht gerecht.

Unserer Meinung nach steht an erster Stelle die Frage nach der gewünschten, notwendigen und realisierbaren Kommunikation zwischen Schülern, Lehrern und Eltern. Der Einsatz eines Messengers, wie Whatsapp, ist in den meisten Fällen keine Entscheidung der Mitwirkenden, sondern ein Mitmachen beim bestehenden Kommunikationsverhalten. Schüler verwenden bereits Messenger in unterschiedlichen Gruppenkonstellationen: Freunde, Vereine, Familie, Klassen. Lehrer sind eher die Letzten als die Ersten, die zu solchen Gruppen eingeladen werden.

Ein weiterer Aspekt ist die sinnvolle Abgrenzung zwischen Lehrerinnen und Schülern; sowohl in zeitlicher als auch inhaltlicher Hinsicht. Alle Beteiligten wollen nicht rund um die Uhr kommunizieren; alle Beteiligten wollen nicht in Dialoge einbezogen werden, die über schulische Belange hinausgehen. Manche Schüler haben eventuell nicht die Mittel um sich ein Smartphone oder einen PC zu leisten oder sind aus anderen achtbaren Gründen nicht bereit, sich an bestimmten Arten der Kommunikation zu beteiligen.

Deshalb erachten wir es als äussert wichtig und einen ersten Schritt, den Zweck der Kommunikation zwischen Schülern, Lehrern und Eltern zu besprechen bevor über die technische Umsetzung entschieden wird.

Es gibt viele Möglichkeiten

Nachdem klar ist, warum wer mit wem und wann kommunizieren möchte, kann man sich gemeinsam überlegen, welches Medium am besten dafür geeignet ist. Die Spannbreit ist hier grösser als die Überschrift vermuten lässt. Eine Umfrage unter Studentinnen der Pädagogischen Hochschule Zürich brachte Vorschläge hervor, die von Papierheften, in denen Eltern den Empfang der Information bestätigen, über klassische Lösungen wie Email oder SMS, bis zu den fraglichen Messengern reichten. Es muss demnach nicht immer das Tollste und Neueste sein. In vielen Fällen reicht es aus, wenn die Betroffen mehr miteinander reden.

Dem mag man das Argument der Popularität und Reichweite entgegenstellen: «alle haben Whatsapp, darum ist dieses Medium das Gebot der Stunde». Diese Vorstellung ist falsch; die Reichweite von Post, Telefon, SMS, Email ist wesentlich grösser als die von Whatsapp. Hinzu kommt, dass die Reichweite und Popularität nicht das entscheidene Kriterium ist. Wichtiger ist die Einigung auf ein Medium; um es überspitzt zu sagen, falls sich die Klasse auf Rauchzeichen für die Kommunikation einigen sollte, ist das auch in Ordnung. Das Vereinbaren eines eigenen Kanals kann auch identitätsstiftend und vereinigend auf einen Klassenverbund wirken, im Sinne von: «wir laufen nicht der Masse hinterher, sondern haben unseren eigenen Stil».

Warum nicht Whatsapp?

Die Software-Applikation Whatsapp gehört der Firma Facebook von Mark Zuckerberg, genauso wie die Apps Instagram, Yahoo, der Facebook-Messenger und natürlich Facebook selbst. Kummuliert man die Benutzerzahlen dieser Dienste, ergibt sich die unglaubliche Zahl von ca. 5 Milliarden aktiven Anwender (Quelle: statista.com). Alleine die Anzahl monatlich aktiver Whatsapp Benutzer beläuft sich auf ca. 2 Milliarden. Das entspricht mehr als einem Viertel der Weltbevölkerung (7.5 Mrd.), ohne zu berücksichtigen, dass ein Grossteil davon gar nicht die Mittel hat um Whatsapp zu verwenden.

Diese Zahlen sollten einem zu Bedenken geben. Das Kerngeschäft der Firma Facebook ist die Verknüpfung von Benutzerdaten zu Persönlichkeitsprofilen, die an Regierungen, Werbeagenturen, andere Medien (TV, Zeitungen), Versicherungen, Banken, Gesundheitsorganisation usw. verkauft werden. Zu welchen Auswüchsen das führt bzw. in Zukunft führen wird, lässt sich leicht ermessen, wenn man sich Berichte über das Chinesische «Social Credit System» anschaut.

 

Welche Alternativen gibt es?

Neben den erwähnten konventionellen Kommunikationsmittel wie: miteinander Reden, Info-Zettel oder Heftli, Email (gerne verschlüsselt), SMS, gibt es viele moderne, komfortable und sichere Alternativen zu Whatsapp. In der aktuellen Berichterstattung werden oft die grossen Konkurrenten zu Whatsapp genannt, die da wären: Threema, Signal, Telegram. Das Schweizer Produkt Threema hat unmittelbar auf die Diskussion reagiert und die Lösung «Threema Education» lanciert. Auch die Eltern sind nicht untätig geblieben; eine Gruppe hat die Anwendung KLAPP erstellt. Leider schweigen sich die Ersteller dieser App über die technische Umsetzung der Lösung und die Verwendung der Daten aus, so dass hier eine weitere «Katze im Sack» entwickelt wurde. Grundsätzlich begrüssen wir solche Initiativen, da sie Alternativen aufzeigen und ein bestehendes Problem konkret angehen. Etwas mehr Transparenz wäre jedoch wünschenswert; man möchte schliesslich nicht vom Regen in die Traufe geraten.

Auch die Swisscom vertreibt seit 2014 das digitale Klassenbuch «HelloClass». Es wird von ca. 11000 Anwendern an Schweizer Schulen eingesetzt. Lehrer dürften die Onlineplattform gar nicht einsetzen. Datenschützer sehen darin einen Verstoss gegen geltende Bestimmungen.«Helloclass ist nicht datenschutzkonform», sagt Bruno Baeriswyl, Datenschutzbeauftragter des Kantons Zürich. «Wenn Schulen diesen Vertrag mit der Swisscom eingehen, verletzen sie die datenschutzrechtlichen Vorgaben.»

Eine detailierte Bewertung der vielfältigen Messeging-Lösung möchten wir hier nicht wiedergeben, sonder verweisen stattdessen auf eine gute Übersicht der «Digitalen Gesellschaft Schweiz». Die grundsätzliche Kriterien für eine nachhaltige, sichere und mit freiheitlichen Prinzipien übereinstimmende Kommunikationslösung sind unserer Meinung nach:

  • standardisierte Protokolle für die Nachrichtenübermittlung (keine proprietären)
  • sichere Ende-zu-Ende Verschlüsselung der Kommunikation
  • plattform-unabhängige Software-Applikation (alle Betriebssysteme, auch mobile)
  • Unabhängigkeit von Firmeninteressen (kommerziellen Interessen)
  • Überprüfbare Lösungen (im Sinne von Freier Software und Open Source)
  • Konformität mit der korrekten Verwendung von Steuergeldern (Public Money, Public Source)

 

Was empfiehlt die FSFE für Schüler und Lehrer?

Conversations AppKommen wir zur Gretchen-Frage; was empfiehlt die Free Software Foundation Europe – Lokalgruppe Zürich den Schülern und Lehrern um ihre Klassenkommunikation modern, praktisch machbar, komfortabel und sicher zu gestalten, ohne Einzelne auszuschliessen.

Unsere «erste Wahl» fällt auf ein offenes Protokoll für Chat-Dienste (XMPP), sowie eine Vielzahl von Anwendungen für das Smartphone und PCs. So wie SMTP ein standardisiertes Protokoll für das Versenden von Emails ist, so ist XMPP ein entsprechendes Protoll für die Kommunikation über Messenger-Apps. Das Protokoll wird nicht durch Firmen oder Regierungen kontrolliert. Ausserdem erfüllt es als Einziges alle Kriterien, die im letzten Kapitel aufgelistet wurden. Für den PC und Smartphones gibt es diverse Anwendungen, die eine komfortable und sichere Kommunikation sicherstellen. Für Smartphones empfehlen wir «Conversations» für Android und «Monal IM» für iOS. Für PCs (Window, macOS, Linux) empfehlen wir «Pidgin» oder «Gajim». Für die Kommunikation über das XMPP-Protokoll wird ein ebensolches Konto benötigt. Auch dafür gibt es diverse Anbieter in der Schweiz. Für Schulen oder Schulbehörden ist es auch möglich, einen eigenen XMPP-Server zu betreiben. Unsere Empfehlungen dazu sind: trashserver.net, xabber.org oder systemli.org.

 

Das ist doch alles viel zu kompliziert!

Nein, ist es nicht; höchstens ein kleines bisschen. Das Vorgehen für die Installation erfolgt in vier Schritten:

  • XMPP-Konto bei einem Anbieter besorgen
  • Die bevorzugte App auf dem Smartphone und/oder PC installieren
  • Kontakte hinzufügen (nein, es werden keine Kontaktlisten vom Handy freigegeben, was rechtlich nicht legal ohne die Zustimmung aller ist)
  • Austausch der Schlüssel unter den Beteiligten um die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu gewährleisten)

Fazit

Kommunikation in heutigen Zeit ist zu einem riskanten Unterfangen geworden. Vermeintlich kostenlose Anwendungen (wie eben Whatsapp) müssen «mit dem Leben bezahlt werden» (mit den Daten über das Leben unserer Kindern). Die «Goldenen Gärten» zwingen uns in umfassende Geschäftsmodelle (Oekonomisches System, z.b. das Apple- oder Facebook-Oeko-System), welche von der EU mittlerweile mit Strafen in Milliarden-Höhe geahndet werden. Die Daten und Kommunikation unserer Kinder wird für andere geschäftliche oder Regierungsinteressen missbraucht. Daraus ergeben sich fatale Abhängigkeiten, die unser aller Leben heute und in Zukunft massiv beeinträchtigen werden.

Ein Ausweg aus diesen «bequemen Angeboten» ist es, die Kontrolle über unsere Daten, Kommunikation und Persönlichkeitsprofilen wieder in die eigene Hand zu nehmen. Dabei hilft «Freie Software» und die gesellschaftlichen Konzepte dahinter. Freie Software hilft dem einzelnen Bürger, der nationalen Wirtschaft und dem Gemeinwohl.

Als Schweizer Bürger ist es höchste Zeit, die richtigen Entscheidungen zu unserer aller Wohl zu treffen und unsere Unabhängigkeit auch in Zukunft selbst zu bestimmen.

 

Mit freien Grüssen
Ihre Free Software Foundation Europe – Lokalgruppe Zürich

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