Martinas Geburtstagsreise führte uns vom 16. bis zum 20. Mai 2023 an die ligurische Küste. Die italienische Riviera erstreckt sich von der französisch/italienischen Grenze bis zu den Ausläufern der Toskana und spannt sich entlang des Golfes von Genua. Tatsächlich bereisten wir nicht die ganze Küstenlinie, sondern nur den Teil zwischen Genua und La Spezia. Darin befinden sich die fünf verträumten und malerischen Dörfer der Cinque Terre. Das sind Monterosso, Vernazza, Corniglia, Manarola und Riomaggiore.
Als ersten Tipp dieses Reiseberichtes empfehlen wir die fünf Dörfer auf sieben zu erweitern. Beschränkt man sich auf die fünf bekannten Orte, verpasst man zwei Dörfer, die es mit der Cinque Terre locker aufnehmen können. Persönlich haben mir diese zwei sogar besser gefallen. Um welche Orte es sich handelt und warum man die Cinque Terre in Sette Terre umbenennen sollte, lest ihr später.
Am Dienstagmorgen fuhren wir von Zürich mit dem Zug in drei Stunden nach Mailand. Von dort ging es mit einem Mietwagen weiter nach La Spezia. Als Unterkunft wählten wir eine alte Mühle, das sehr empfehlenswerte Millstone House. Zwar liegt es ausserhalb des Stadtzentrums, ist aber sehr schön und gastfreundlich. Unser Plan war es, die Cinque Terre von Süden aus aufzurollen. Es lohnt sich kaum La Spezia zu besichtigen, gäbe es nicht in der Nähe den ersten Ort der Sette Terre, den man mit dem Auto in 20 Minuten erreichen kann. Die Rede ist von Portovenere, dem Ort, an dem der Sage nach, die Liebesgötting Venus dem Meer entstiegen ist (portus veneris). Sehenswert sich die Kirche San Pietro, die auf einem Felsen an der Spitze des Ortes tront, die Arpaia Grotto, die heute Grotta Byron heisst, weil der Dichter sie als einen seiner Lieblingsorte erkor. Im Sommer kann man vom Kirchenfelsen ins Wasser springen und in die Grotte schwimmen. Hoch über Portovenere wacht das mächtige und gut erhaltene Castello Doria über das Dorf. Der Aufstieg lohnt sich auch deshalb, weil man auf halbem Weg den vermutlich schönsten Friedhof Italiens entdecken kann. Dort liegt der berühmte italienische Bergsteiger Walter Bonatti begraben, der 1965 als Erster im Winter die Eiger-Nordwand im Alleingang bestieg.
Portovenere - San Pietro
Mittwochs fuhren wir von La Spezia durch die regenverhangenen Berge des ligurischen Apennin nach Levanto, dem Ausgangspunkt für Cinque Terre Reisende aus nördlicher Richtung. Das Gebiet mit dem Auto zu entdecken, ist grundsätzlich eine schlechte Idee. Die fünf Orte lassen sich zwar theoretisch mit dem Auto erreichen (wobei einige Dörfer autofrei sind), davon ist aber dringend abzuraten. Es gibt keine direkte Strassenverbindung von Ort zu Ort entlang der Küste. Stattdessen fährt man immer wieder hoch in die Berge, um sich von dort auf kleinsten Strassen mühsam und zeitraubend den Weg zu den Dörfern zu suchen. Die besten Verkehrsmittel, um die Cinque Terre zu erkunden, sind der Cinque Terre Express oder die Boote, die von Dorf zu Dorf fahren. Der Zug verkehrt im Viertelstundentakt zwischen Levanto und La Spezia, sagt der theoretische Fahrplan. Tatsächlich ist die Zuverlässigkeit des Cinque Terre Express gleichzusetzen mit der Deutschen Bahn. Eigentlich wollten wir von Levanto nach Monterosso fahren. Leider entschieden die römischen Götter, den Zug nicht in diesem Ort anhalten zu lassen, sondern fuhren gezwungenermassen durch bis zum südlichsten Ort der Cinque Terre. Riomaggiore ist ein malerisches Dörfchen mit pastellfarbenen Häusern, Gässchen und einem kleinen Hafen für Fischerboote. Weiterhin gibt es mehrere Restaurants mit lokalen Pasta- und Fischspezialitäten, kleine Bars und Cafés. Besonders schön ist die romantische Atmosphäre kurz vor Sonnenuntergang am Hafen, mit Blick aufs Meer und die bunten Häuser.
Riomaggiore
In wenigen Minuten erreicht man mit dem Zug den nächsten Ort. Manarola ist ein ganz entzückendes Dorf mit engen Gassen und einem kleinen Hafen für Fischerboote. Der Ort gehört zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten im Cinque Terre Nationalpark. Das Meer lädt wegen seiner Artenvielfalt und seines meist klaren Wassers zum Schnorcheln ein.
Manarola
Der nächste Ort wäre Corniglia gewesen. Corniglia liegt sehr schön auf einem hohen Felsvorsprung gelegen, umgeben von Weinbergen. Es ist das kleinste der fünf Dörfer und das einzige ohne direkten Zugang zum Meer. Das Dorf entwickelt sich entlang der Hauptgasse Via Fieschi, die an der Spitze des Kaps endet und einen Panoramablick auf das Meer und die Küste freigibt. Leider bliebt uns das Dorf auf dem Felsen verwehrt, weil auch nach einer Dreiviertelstunde kein Zug in diese Richtung fuhr. Als Alternative wählten wir die Bootspassage von Manarola nach Vernazza für 30 Euro (der Captain wusste von der Zugmisere und hatte den Preis für die 10-minütige Fahrt schnell den Marktgegebenheiten angepasst). Da Corniglia keinen direkten Meerzugang hat, mussten wir es leider überspringen.
Corniglia
Glaubt man der Bildhäufigkeit in den Medien, wird Vernazza als das Sinnbild für die Cinque Terre gezeigt. So heisst es gerne: "Vernazza liegt auf einer kleinen Halbinsel und begeistert mit seinen alten Burgtürmen, dem Felsenhintergrund und der kleinen Piazza am Meer. Wer die Cinque Terre besucht, darf dieses malerische Örtchen keinesfalls auslassen." So sieht es auf unserem Bild aus:
Vernazza
Aus meinem spärlichen Text zu den einzelnen Cinque Terre Dörfern, kann man entnehmen, dass wir nicht so sehr begeistert waren, wie man es vermuten könnte. Das mag daran liegen, dass das Touristenaufkommen (trotz Nebensaison) sehr hoch war, dass die Zugverbindungen nicht wie versprochen und bezahlt funktionierten und man die geballte Schönheit irgendwann gesehen hat. Uns fehlte das Besondere, welches aus dem Guten heraussticht.
Dieses Besondere erwanderten wir auf dem ersten Teil des Sentiero Azzuro von Vernazza bis Monterosso. Dieser Wanderweg verläuft von Monterosso bis Riomaggiore in zwei Etappen und schlängelt sich oft auf dem Grat von Trockenmauern entlang der Küste, sodass das Meer immer im Blick bleibt. Wer es anspruchsvoller mag, kann den Sentiero Crinale begehen, der auf 600 Metern Höhe durch den Apennin führt. Aber auch für den Azzuro empfehlen sich Bergschuhe und eine mittlere Kondition. Wenn man schleicht, bewältigt man die Strecke Vernazza-Monterosso in zweieinhalb Stunden. Wir wurden zum Glück gezwungen, da auch nach einstündiger Wartezeit kein Zug in dieser Richtung verkehrte.
Sentiero Azzuro
Monterosso ist das grösste der fünf Dörfer und hier findet man den einzigen Sandstrand von Cinque Terre. Berühmt ist Monterosso für seine unzähligen Zitronenbäume und köstlichen, fangfrischen Sardellen. Monterosso ist relativ flach; hier befinden sich zahlreiche Hotels, Restaurants und Lädchen mit regionalem Kunsthandwerk.
Ein Wort zur Reisezeit: Die Region Cinque Terre gehört zu den Top-Destinationen unter den internationalen Reisezielen. Deshalb ist die Gegend fast immer von Touristen überlaufen. Ende November ist als Reisezeit nicht geeignet; zwar hat man dann seine Ruhe, findet aber kein geöffnetes Restaurant oder eine Unterkunft. Wir empfehlen Mitte Mai, weil man den Geruch des Frühlings erlebt, auf angenehme Temperaturen hoffen kann (so um die 20 Grad) und nur in Hundertschaften statt zu Tausenden unterwegs ist. Dennoch sollte man sich auf überfüllte Bahnsteige, lange Schlangen bei den Booten und Vorausreservationen bei den Unterkünften und Restaurants einstellen.
Strand von Monterossa
Tatsächlich schafften wir es, einen Zug von Monterossa zurück nach Levanto zu erwischen. Vor unserer Unterkunft in Levanto muss ich warnen. Zwar ist das Affittacamere Sapore di Mare sehr zentral gelegen, bietet eine Strasse weiter einen Parkplatz und noch eine Strasse weiter Frühstück in einem Cafe, aber damit hören die Vorteile auf. Wer gerne in einer Discothek schläft und abgepackten Zwieback zum Frühstück mag, ist hier richtig aufgehoben. Aufgrund der zentralen Lage hat man jedoch eine grosse Auswahl an Apero-Bars und Restaurants.
Apropos Apero! Vergesst Pizza, begrüsst Focaccia! Mehl, Salz, Hefe, Wasser und Olivenöl, bilden die Grundlage der ligurischen Alltagsspeise. Der Teig wird immer auf rechteckigen Blechen gebacken und für ca. 1.00 bis 1.60 Euro pro 100 Gramm gewogen und verkauft. Ob als Hauptgericht mit reichlichen Toppings oder als einfacher Snack für zwischendurch ist der luftige Fladen immer willkommen; fettige Finger sind garantiert. Doch nun zum Apero: wer in einer Bar Drinks bestellt, erhält immer ein wenig Fingerfood dazu gereicht. Nach unserer Erfahrung überbieten sich die Bars in ihrem Angebot. Das kann dazu führen, dass man sich das Abendessen sparen kann; doch dazu später mehr. Ich möchte noch zwei weitere kulinarische Spezialitäten anpreisen. Angeblich wurde die Farinata von Genueser Seeleuten erfunden, als während eines Sturms Fässer mit Öl und Kichererbsenmehl umkippten und ihre Inhalte sich mit salzigem Meerwasser vermischten. Mangels Vorräten beschlossen die Genueser, diese Zufallskreation in der Sonne als Pfannkuchen zu trocknen. Die Farinata schmeckt ein wenig muffig, ist jedoch gesund und nachhaltig. Und dann gibt es die Trofie al Pesto; die kleinen gedrehten Nudeln, mit der grünen ligurischen Kräutersosse, schmecken hervorragend. Das liegt auch daran, dass niemand eine so gute Pesto machen kann, wie die Genuesen.
Trofie al Pesto
Bei den Sette Terre fehlt noch ein Ort. Von Levanto fuhren wir mit dem Auto weiter nach Portofino, dem Ort der Schönen und Reichen. Wenn man den internationalen Jet Set (und die Preise) einmal ausblendet, ist Portofino ein Platz auf Erden, der seinesgleichen sucht. Der wunderbare Parco del Castello Brown, mit seiner gleichnamigen Burg und dem Leuchturm Faro di Portofino an der äussersten Spitze der Halbinsel, bieten tolle Aussichten, gepflegte Gärten und herrliche Aussichten auf den Ort, die Bucht und das Meer. Wer am Ende des Ortes auf der linken Seite, gleich nach den Carabinieri eine Tür durchschreitet und 180 Stufen nach oben steigt, erreicht das B&B Tre Mari Portofino. Die hundertjährige Villa oberhalb des Ortes, wird von einem freundlichen Inder bewohnt, der ein paar gediegene Zimmer an Gäste vermietet, die den Aufstieg nicht scheuen. Dafür wird man für gutes Geld mit der besten Aussicht auf Portofino, den Yachthafen und die Burg belohnt.
Portofino
Zum Abschluss unserer Reise fuhren wir nach Genua, einer der ältesten und geschichtsträchtigsten Metropolen Europas. Genua hatte lange Zeit den Ruf einer schmutzigen und lauten Hafenstadt. Es mag einmal schlimmer gewesen sein, aber es stimmt immer noch; die Stadt ist schmutzig, kaputt, chaotisch und laut. Die Schlaglöcher in den Strassen sind elefantentief aber die historische Altstadt ist die grösste Europas. Oft wird sie verglichen mit den Souks von Marakesch, mit Zentimeter-breiten Gassen zwischen den Häuserschluchten, die sich zum Verlaufen anbieten. Darunter sticht die Via Garibaldi hervor; darin reihen sich prunkvolle Palazzi im Renaissance- und Barockstil auf einer Länge von 250 Metern aneinander. Die Aussenfassaden der historischen Adelspaläste sind mit Masken, Girlanden und Wappen filigran verziert. Viele der mehrstöckigen Paläste verbergen im Inneren beeindruckende Innenhöfe und Gärten mit Brunnen und Skulpturen, die den Reichtum Genuas als europäische See- und Finanzmacht wiederaufleben lassen. Was uns mehr beeindruckte, war das Festa dello Sport auf der riesigen Hafenpromenade. Hier präsentierten sich die Genueser Sportvereine der Öffentlichkeit und warben für ihre Aktivitäten. Die Rückkehr zu unser Unterkunft scheiterte am Feierabendverkehr, schlechter Organisation, einer Bombendrohung oder was auch immer. Die Busverkehr im 10-Minutentakt fand nicht statt, weshalb wir die dreieinhalb Kilometer bis zu unserer Unterkunft zu Fuss entlang des Lidos zurücklegten. Diese Unterkunft zählte ebenfalls zu den Höhepunkten unserer Ligurienreise. Zwar befindet sich diese Stadtvilla mit zwei superben Gästezimmern etwas ausserhalb des Zentrums, dafür erreicht man von dort das historische Fischerdorf Boccadasse zu Fuss. Dort fühlt man sich nicht mehr in einer Grossstadt, sondern eher wie in einem der Cinque Terre Dörfern. Hier platscht das Wasser gegen die Holzstühle, die von nur wenigen Touristen entdeckt wurden und kann in den wenigen Restaurants eine gegrillte Sepia geniessen.
Genua - Boccadasse
Am Samstag fuhren wir von Genua zurück nach Mailand, bestiegen den Zug nach Zürich und waren vor Mitternacht wieder zuhause. Welche Eindrücke sind bei mir hängengeblieben? Die Cinque Terre wird überschätzt. Wer seine Reise auf die Sette Terre ausweitet, hat viel mehr von Ligurien. La Spezia und Genua müssen nicht sein; Portovenere und Portofino sollten auf jeden Fall dabei sein. Wie auch immer ihr in die Gegend kommt, vergesst das Auto und reist besser mit dem Zug oder dem Schiff durch die fünf (sieben) Dörfer. Rechnet mit massivem Touristenaufkommen und sucht eine Zwischensaison aus. Nehmt genug Geld mit; ein Tagesparkplatz in Portofino kostest mindestens 50 Euro.
Fazit: Die sieben Dörfer sind eine Reise wert; die fünf Dörfer sind es nicht.
Bildet euch einen Eindruck. Hier sind die Bilder unserer Reise: